Die Forschung in der EU ist auf weltweitem Spitzenniveau. Doch wissenschaftliche Erkenntnisse kommen nicht immer in der Wirtschaft an und werden daher oftmals nicht zu gesellschaftlichen Innovationen weiterentwickelt – zumindest nicht in Deutschland oder der EU. Hierzulande müssen daher die Innovationsprozesse weiterentwickelt werden.
Das Verhältnis von Wissenschaft und Wirtschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert. Schon immer ging es auch darum, wissenschaftliche Erkenntnisse in wirtschaftliche Erfolge zu verwandeln. Allerdings verstand man diesen Prozess früher als einen linearen: Am Anfang stand die Forschung – am Ende der wirtschaftliche Erfolg. Dazwischen lagen die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Grundlagenforschung und angewandten Forschung. Diesem setzt die Interreg Programmserie der Europäischen Union nun das Modell eines interaktiven und kooperativen Prozesses entgegen. In dem Bericht University – Industry Collaboration werden Maßnahmen vorgestellt, die lokale und regionale Akteure der Politik, Wirtschaft und Wissenschaft dabei unterstützen, ein innovatives Forschungsumfeld zu schaffen.
Das Modell linearer Kooperation etablierte sich in seiner Breite nach dem Zweiten Weltkrieg. Aufgrund der Entstehung zahlreicher technologischer Innovationen im Laufe des Krieges, gab US-Präsident Roosevelt einen Bericht zur Untersuchung einer sinnvollen Zusammenarbeit von Wissenschaft und Industrie in Zeiten des Friedens in Auftrag. Das Ergebnis war ein linearer Innovationsprozess, in welchem öffentliche oder private Forschungseinrichtungen für die Schaffung neuen Wissens und neuer Technologien zuständig sind. Anschließend übernehmen Unternehmen die Aufgabe der marktwirtschaftlichen Verwertung dieser Ergebnisse.
Seit den 1980er Jahren wurde dieses Modell sukzessive abgelöst und kontinuierliche Feedback-Mechanismen zwischen den unterschiedlichen Akteuren des Innovationsprozesses gewannen an Bedeutung. Durch effektiven Wissenstransfer sollten sich die Kompetenzprofile von Unternehmen und Forschungseinrichtungen komplementär ergänzen und es wuchs die Erkenntnis, dass die verschiedenen Vorgehensweisen im wissenschaftlichen und unternehmerischen Kontext eine Kooperation nicht ausschließen, sondern sie umso spannender machen. Daraus gingen neue Modelle des Innovationsprozesses hervor, unter ihnen das Tripple Helix Modell von Henry Etzowitz und Loet Leyesdorff. Hier wird die Bedeutung der Kooperation zwischen Universitäten, dem privaten Sektor und öffentlichen Institutionen hervorgehoben:
„A triple helix of overlapping, yet relatively independent institutional spheres is required to capture contemporary innovation processes. The triple helix model attempts to account for a synthesis between opposing principles in which new resolutions are found that allow several tasks to be accomplished, even as each influences the other”(Leyesdorff, Etzkowitz 1998, p. 3).
Ergänzt wird dieser Ansatz durch das Modell der Open Innovation von Henry Chesbrough, das den Fokus auf den Wissenstransfer innerhalb und außerhalb der eigenen forschenden Institution legt. Er beschreibt Open Innovations als “purposeful inflows and outflows of knowledge to accelerate innovation internally while also expanding the markets for the external use of innovation” (Chesbrough, 2006). Es gehe somit um einen strategisch organisierten Austausch von Informationen über institutionelle Schranken hinaus, von dem alle Akteure in Form eines wissensbasierten Innovationsprozesses profitieren. Demnach kann zwischen drei Formen des Open Innovation Modells unterschieden werden:
„Inbound“ Open Innovation bezeichnet den Prozess, in dem ein Unternehmen eine externe Technologie eingekauft oder einlizenziert. So können existierende Innovationen geteilt werden und das Rad muss nicht jedes Mal aufs Neue erfunden werden.
„Outbound“ Open Innovation bezeichnet den komplementären Prozess in dem interne Innovationen und Technologien für andere Unternehmen oder Institutionen zugänglich gemacht werden. Dies geschieht meistens durch den Verkauf von Lizenzrechten, kann aber auch, wie Elon Musk mit Tesla-Patenten zeigte, komplett kostenfrei geschehen.
Schließlich kombiniert der „Coupled Innovation Process“ die beiden Dimensionen und beschreibt einen Prozess bei dem nicht nur Forschungsergebnisse geteilt werden, sondern gemeinsam Technologien, Wissen und Problemlösungen geschaffen werden. Dies kann im Rahmen von thematisch eingegrenzten Forschungsprojekten oder auch von langfristigen Forschungspartnerschaften geschehen.
So können besonders Unternehmen durch Open Innovation ihr internes Kompetenzprofil enorm ausweiten und durch die Kooperation mit anderen Unternehmen oder Einrichtungen neue Absatzmärkte für ihre Produkte und Dienstleistungen erschließen. In Bezug auf die Kooperation zwischen Unternehmen und Universitäten kommen weitere Komponenten hinzu: Unter anderem können technische Infrastrukturen gemeinsam genutzt werden und Studierende haben die Möglichkeit im Rahmen von Praxisprojekten früh unternehmerische Erfahrungen zu sammeln und wertvolle Kontakte zu knüpfen. In diesem Kontext hat es der Begriff der Entrepreneurial University zu einiger Popularität gebracht. Er beschreibt das Bild einer Universität, die sich als Transferstelle oder Kompetenzzentrum besonders in regionalen Entwicklungs- und Innovationsprogrammen aktiv in die Interaktion zwischen öffentlichen und privaten Institutionen einbringt. Häufig ist die Rede von zwei „Missionen“ der Universität, welche um eine dritte ergänzt werden sollen:
1. Bildung: Universitäten haben eine bildende Aufgabe. Sie sind es, die jungen Menschen in Form von Wissenskapital die fachliche Grundlage für ihr späteres Berufsleben legen.
2. Forschung: Neben der Bildung ist die freie Forschung die zweite etablierte Aufgabe von universitären Einrichtungen. Durch bahnbrechende Erkenntnisse und innovative Entwicklungsarbeit schaffen Universitäten wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt.
3. Transferinstitution: Im Rahmen dieser dritten Mission sollen Unternehmen noch mehr als früher ein Knotenpunkt für verschiedene wissenschaftliche, politische und unternehmerische Perspektiven und Kompetenzen sein. So können sie Studierende die Gründung von innovativen Start-ups ermöglichen oder kleine Unternehmen bei regionalen Forschungsprojekten unterstützen.
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich Deutschland und Europa immer weiter von einem linearen Innovationsansatz entfernt und neuen dynamischen Kooperationsformen zugewandt. Dennoch zeigt der Interreg Bericht (ebenso wie das Bundesministeriums für Bildung und Forschung), dass Europa zwar Forschung auf allerhöchstem Niveau betreibt, aber hinter den USA zurückfällt, wenn es um das Schaffen von technologischen Innovationen geht:
„Overall, the European Union is lagging behind the United States in producing technological innovations. Although the European Union is leading in top-level scientific outputs compared to the United States, the EU has not been able to transform these scientific outputs into innovation. This ‘European Paradox’ is due to a weaker system of scientific research and a lower capacity of the European Union’s innovative companies to successfully convert scientific outputs into successful technological innovations.” (Dosi, Llerena, & Labini 2006).
Das Problem der Europäischen Union liegt genau an der Schnittstelle, wo wissenschaftliche Erkenntnisse zu unternehmerischen Innovationen weiterentwickelt werden. Deshalb unterstützt Interreg vor allen Dingen lokale und regionale Forschungsakteure dabei den Wissens- und Technologietransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft auszubauen. Finanziert wird Interreg dabei mit 359 Millionen durch den European Regional Development Fund der Europäischen Kommission. Primär richtet sich Interreg an drei Gruppen: Öffentliche Autoritäten (lokal, regional und national), Vernetzende Organisationen und Forschungseinrichtungen mit denen gemeinsame Wege für die Kooperation mit ihrem lokalen Ansprechpartner gefunden werden können. Die Förderung konzentriert sich auf vier Bereiche: Forschung und Innovation, Wettbewerbsfähigkeit für KMU, Klimaschonende Ökonomie und Umwelt- und Ressourceneffektivität. Konkret unterstützt Interreg in diesen Bereichen nicht nur finanziell, sondern auch durch eine Plattform auf der Akteure sich über Erfahrungen und Herausforderungen austauschen können. Außerdem helfen Experten bei spezifischen Problemsituationen und der praktischenUmsetzung von EU-Programmen.
Insgesamt können sich regionale Akteure so ein umfassendes Kooperationsnetzwerk aufbauen, das den Austausch unter Gleichen ermöglicht und eine Struktur des Wissenstransfers schafft. Lesen Sie in unserem Artikel, mit welchen Programmen Interreg konkret die Kooperation zwischen Universitäten und Unternehmen unterstützt.